1.6 Zur Irreführung geeignete Angaben
Wird eine bekannte Marke in humorvoll verfremdeter Weise zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen verwendet, so kann die Unlauterkeit der Ruf- oder Aufmerksamkeitsausbeutung aus grundrechtlichen Erwägungen zu verneinen sein, wenn das beanstandete Verhalten als Ausdruck künstlerischen Schaffens oder als Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs zu werten ist (Markenparodie oder Markensatire). Das gilt jedoch nicht, wenn die Nutzung der Marke bei realistischer Betrachtung in erster Linie dazu dient, deren Bekanntheit für den Absatz eigener Waren oder Dienstleistungen auszunutzen. (OGH vom 22.09.2009, 17Ob15/09v)
Der mündige Konsument erwartet von einem als „Waldbeeren Fruchtschnitte“ bezeichneten Produkt weder eine unter Verwendung ganzer Früchte, noch - im Verhältnis zu anderen Obstzutaten - überwiegend aus Waldbeeren hergestellte Fruchtschnitte. Ganze Früchte muss er als Zutat schon aufgrund der geringen Breite der Schnitte, deren erkennbar fester Konsistenz und der vorausgesetzten längeren Haltbarkeit eines solchen Lebensmittels ausschließen, und ohne Kenntnis der Zutatenliste hat er keine Vorstellung davon, in welchem Ausmaß die namensgebenden Früchte in der Schnitte enthalten sind und ob diese Zutat mengenmäßig gegenüber sonstigen (Obst-)Zutaten überwiegt. (OGH vom 15.02.2011, 4Ob228/10y)
Im vorliegenden Fall befinden sich zum einen auf der Verpackung des Früchtetees u. a. Abbildungen von Himbeeren und Vanilleblüten, die Angaben „Früchtetee mit natürlichen Aromen“ und „Früchteteemischung mit natürlichen Aromen – Himbeer-Vanille-Geschmack“ sowie ein grafisch gestaltetes Siegel „nur natürliche Zutaten“.
Zum anderen enthält der Tee nach dem auf einer Seite der Verpackung angebrachten Verzeichnis der Zutaten gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13, dessen Richtigkeit und Vollständigkeit nicht bezweifelt werden, natürliche Aromen mit „Vanillegeschmack“ und „Himbeergeschmack“. Es ist also unstreitig, dass der Tee keine natürlichen Zutaten aus Vanille oder Himbeere oder aus Vanille oder Himbeere gewonnenen Aromen enthält.
Im Ausgangsverfahren stellt sich daher die Frage, ob die Etikettierung des Früchtetees geeignet ist, den Käufer irrezuführen, weil sie den Eindruck des Vorhandenseins von Himbeer- und Vanilleblütenzutaten oder aus diesen Zutaten gewonnenen Aromen erwecken könnte, obwohl solche Zutaten oder Aromen darin nicht vorhanden sind.
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art.2 Abs.1 Buchst. a Ziff. i und Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13 dahin auszulegen sind, dass es mit ihnen nicht vereinbar ist, dass die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den Eindruck des Vorhandenseins dieser Zutat in dem Lebensmittel erwecken können, obwohl sie darin tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des Lebensmittels ergibt.
Der Umstand, dass das Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisses angebracht ist, kann jedoch für sich allein nicht ausschließen, dass die Etikettierung dieses Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein könnten, den Käufer gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13 irrezuführen.
Die Etikettierung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2000/13 umfasst nämlich alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und die auf dessen Verpackung angebracht sind. In der Praxis kommt es vor, dass einige dieser verschiedenen Elemente unwahr, falsch, mehrdeutig, widersprüchlich oder unverständlich sind.
Ist dies der Fall, kann das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, in bestimmten Fällen gleichwohl nicht geeignet sein, einen falschen oder missverständlichen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Eigenschaften eines Lebensmittels zu berichtigen, der sich aus den anderen Elementen der Etikettierung dieses Lebensmittels ergibt.
Lassen die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, insgesamt den Eindruck entstehen, dass dieses Lebensmittel eine Zutat enthält, die tatsächlich nicht darin vorhanden ist, ist eine solche Etikettierung daher geeignet, den Käufer über die Eigenschaften des Lebensmittels irrezuführen.
Bei dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u.a. die verwendeten Begriffe und Abbildungen sowie Platzierung, Größe, Farbe, Schriftart, Sprache, Syntax und Zeichensetzung der verschiedenen Elemente auf der Verpackung des Früchtetees zu berücksichtigen.
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i und Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass es mit ihnen nicht vereinbar ist, dass die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den Eindruck des Vorhandenseins dieser Zutat in dem Lebensmittel erwecken können, obwohl sie darin tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des Lebensmittels ergibt. (EuGH vom 04.06.2015, C195/14 Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. gegen Teekanne GmbH & Co KG)
Die Frage, ab welcher Konzentration dieser Stoff seine (nicht nur antioxidierende, sondern darüber hinaus auch) konservierende Wirkung entfaltet, stellt sich schon deshalb, weil nach Art. 9 der VO 1333/2008 in den Anhängen II und III zu dieser Verordnung die Lebensmittelzusatzstoffe zwar den einzelnen „Funktionsklassen“ im Sinne des Anhanges I entsprechend ihrer technischen Hauptfunktion zugeordnet sind – nämlich insbesondere „konservierend“ bzw. „antioxidierend“ i.S.d. Anhanges I Z. 3 und Z. 4 zu dieser Verordnung –, diese Zuordnung aber nach den angeführten Bestimmungen nicht ausschließt, dass solche Zusatzstoffe auch für andere Zwecke verwendet werden können; jedoch sind die in den Anhängen II und III enthaltenen Listen der Lebensmittelzusatzstoffe (sog. „E-Nummern“) gemäß Art. 4 Abs. 3 und 4 der VO 1333/2008 nicht nach Funktionsklassen, sondern vielmehr nach dem Kriterium der Kategorien jener Lebensmittel, denen sie zugesetzt werden dürfen, erstellt.
Aus rechtlicher Sicht ergibt sich daraus, dass allein die Einreihung eines Zusatzstoffes in eine bestimmte Klasse – z.B. in die Klasse 200 bis 297 bzw. in die Klasse 300 bis 392 – noch keinen hinreichenden Nachweis dafür bildet, dass diesem Stoff beispielsweise auch tatsächlich eine (vorwiegend) konservierende bzw. (vorwiegend bloß) antioxidierende Wirkung zukommt, oder bzw. kurz: Einer E‑Nummer kommt (generell und auch insoweit) bloß Indizwirkung zu.
Vor diesem Hintergrund hat die AGES über (neuerliche) Aufforderung des LVwG Oberösterreich im Grunde nicht selbst Stellung genommen, sondern mit e-mail vom 16. März 2016 vielmehr auf eine Literaturstelle hingewiesen; aus dieser ergibt sich, dass Kaliummetabisulfit sowohl antioxidierende als auch konservierende Wirkung hat und dieser Stoff im Besonderen ab einer Menge zwischen 0,025 g/kg (= 25 mg/kg) und 0,3 g/kg (= 300 mg/kg) zur Konservierung geeignet ist (vgl. R. Ebermann – I. Elmadfa, Lehrbuch Lebensmittelchemie und Ernährung, 2. Aufl. [2011], S. 615 und dazu näher oben, I.13.).
Daraus folgt insgesamt, dass der im verfahrensgegenständlichen Produkt vorgefundenen (Durchschnitts-)Menge an Kaliummetabisulfit von 99,5 mg/kg (= 0,0995 g/kg) – weil dieses Quantum innerhalb der für diese Zwecksetzung als lebensmittelchemisch geeignet angeführten Bandbreite liegt – (nicht nur eine antioxidierende, sondern auch) eine konservierende Wirkung zukam, wenngleich dadurch (zumindest im Durchschnitt) der gemäß Anhang II Teil E der VO 1333/2008 für die Kategorie „04.2.2. Obst und Gemüse in Essig, Öl oder Lake“ festgelegte höchstzulässige Grenzwert von 100 mg/kg nicht überschritten wurde und erst recht keine Gesundheitsgefährdung zu befürchten war.
Im Ergebnis erweist sich somit die auf dem Etikett der Verpackung enthaltene Angabe „Ohne Konservierungsmittel“ jedenfalls als sachlich unrichtig.
Zugleich war diese aber auch geeignet, Verbraucher in die Irre zu führen, weil bei Zugrundelegung eines durchschnittlichen Konsumenten als Maßstab realistischerweise nicht erwartet werden kann, dass dieser erkennt, dass die Auslobung „Ohne Konservierungsmittel“ durch den gleichzeitig am Etikett angebrachten Hinweis, dass im verfahrensgegenständlichen Lebensmittel auch ein Antioxidationsmittel enthalten ist, entsprechend relativiert bzw. konkret: nicht bloß neutralisiert, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt wird. Denn einem durchschnittlichen Verbraucher ist schon nicht zusinnbar, zu wissen bzw. zu erkennen, dass einem spezifischen Antioxidationsmittel – hier: „E 224“ (= „Kaliummetabisulfit“) – ab einem bestimmten Quantum zugleich auch eine konservierende Wirkung zukommt, und erst recht nicht, ab welcher Konzentration ein derartiger Effekt eintritt.
Da ein durchschnittlicher Verbraucher die Angabe „Ohne Konservierungsmittel“ in Verbindung mit dem gleichzeitigen Hinweis „Antioxidationsmittel“ vielmehr dahin versteht, dass ein solches Lebensmittel keinerlei chemische Konservierungsstoffe enthält, liegt insgesamt besehen also ein tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG i.V.m. § 5 Abs. 2 Z. 1 LMSVG vor: Denn die Angabe „Ohne Konservierungsmittel“ in Verbindung mit „Antioxidationsmittel: E 224“ ist insgesamt besehen nicht geeignet, eine Irreführung durchschnittlicher Verbraucher darüber, dass der von ihnen erworbene „Karfiolsalat“ tatsächlich nicht die Eigenschaft hat, frei von jeglichen Konservierungsstoffen zu sein (sondern dass das Antioxidationsmittel „Kaliummetabisulfit“ hier in einer Konzentration vorhanden ist, der konservierende Wirkung zukommt), verlässlich hintanzuhalten. (LVwG OÖ vom 15.04.2016, LVwG-000130/17/Gf/Mu)
Die Werbung für ein fabrikmäßig hergestelltes Fertiggericht in Dosen mit dem - durch die Wiederholung der Silbe "gut" - besonders einprägsamen Werbespruch "Gutes vom Gutshof", aber auch die Werbung für ein bestimmtes Produkt mit dem Zusatz ".... vom Gutshof" ist geeignet, die Verbraucher über die Herstellungsart und auch über den Ursprung dieser Erzeugnisse zu täuschen. Es lassen sich häufig - und auch im vorliegenden Fall - marktschreierische Anpreisungen auf einen sachlich nachprüfbaren "Tatsachenkern" - etwa auf die Behauptung erstklassiger Qualität - zurückführen, die durchaus ernst genommen wird und bei Unrichtigkeit zur Irreführung geeignet ist (ÖBl 1978, 31; ÖBl 1984, 97; ÖBl 1987, 49 ua).
In diesem Sinn kann aber die deutlich als Ursprungsbezeichnung (in der Einzahl !) formulierte Angabe "vom Gutshof", die die Beklagte durch die Verwendung ihrer Wortbildmarke noch verstärkt, von einem nicht unerheblichen Teil des Publikums dahin verstanden werden, daß die Beklagte, auch wenn sie ihre Erzeugnisse (im allgemeinen) industriell herstellt, mit einem Gutshof als ständigem, allenfalls auch von ihr kontrollierten Lieferanten hochwertiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse in Verbindung stehe, daß sich die mit der beanstandeten Angabe beworbenen Erzeugnisse durch eine besondere Frische auszeichneten oder daß für die Fertiggerichte der "GutshofSerie" eine besondere, von der üblichen industriellen Herstellung abweichende handwerksmäßige Art der Zubereitung - wenn auch in großen Mengen - angewendet werde. (OGH vom 09.02.1988, 4Ob414/87)
Siehe dazu auch Abs. 1.11.1. (OGH vom 20.10.1998, 4Ob 268/98k)
Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 5 Abs. 2 Z. 3 LMSVG 2006 sind - wahre - Angaben, durch die zu verstehen gegeben wird, dass das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen, zur Irreführung geeignet. Die Lösung der Frage, ob Hinweise zur Irreführung geeignet sind, erfordert weder eine Verbraucherbefragung noch ein Sachverständigengutachten (vgl. E 22. März 1999, 98/10/0420). (VwGH vom 16.12.2015, VwGH Ro 2015/10/0013)
Zur Klärung der Irreführungseignung durch Werbung mit Selbstverständlichkeiten ist weder eine Verbraucherbefragung noch ein Sachverständigengutachten erforderlich. (VwGH vom 29.05.2020, Ra 2019/10/0144)
Eine (irreführende) Falschbezeichnung nach § 74 Abs 1 i.V.m. § 7 Abs 1 lit c LMG liegt vor, wenn unverpackt in einer gekühlten Verkaufsvitrine gelagertes Schweinefleisch (Karree) als -Karree Filet - bezeichnet wird. Damit weiß ein erheblicher Teil der Konsumenten nicht, ob es sich hiebei um ein Karree oder um ein Filet handelt. Die Verwendung des Begriffes Filet erweckt dazu den Eindruck, ein hochwertiges, teures Fleisch zu kaufen. Dabei liegt es auf der Hand, daß die Art des in Verkehr gebrachten Lebensmittels einen Umstand darstellt, der nach der Verkehrsauffassung, insbesondere der Verbrauchererwartung, wesentlich ist (siehe dazu VwGH 09.11.1992, 91/10/0105). (UVS Steiermark vom 10.04.1995, 30.16-152/94)
Selbst wenn man daher die Einhaltung der beruflichen Sorgfalt für relevant hielte, müsste sie bei objektiver Irreführungseignung einer Geschäftspraktik vom belangten Unternehmer behauptet und bewiesen werden. Die Beklagte stützt sich dafür, soweit im Rekursverfahren noch relevant, auf Prüfberichte einer Lebensmittelversuchsanstalt, die die Verkehrsfähigkeit ihres Produkts bejaht hatten. Den Inhalt dieser Berichte hat das Erstgericht durch Verweis auf die Urkunden festgestellt. Ihnen lässt sich indes nicht mit der nötigen Deutlichkeit entnehmen, dass die Versuchsanstalt auch die Irreführungseignung der beanstandeten Äußerung geprüft hätte. Vielmehr heißt es jeweils, dass die „vorliegende Probe einer mikrobiologischen, sensorischen und chemischen Untersuchung“ unterzogen worden sei. Ob diese Untersuchungen auch die Frage betrafen, wie hoch nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft der täg-liche Bedarf an Obst und Gemüse ist und ob die Zubereitung der Beklagten tatsächlich ausreiche, diesen Bedarf zur Hälfte abzudecken, ist nicht erkennbar. Soweit einige Prüfberichte ausführen, die jeweilige Probe entspreche den Bestimmungen der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung und der Nährwertkennzeichnungsverordnung, fehlt dafür jede Begründung; zudem ist nicht ersichtlich, dass sich die diesbezügliche Prüfung tatsächlich auch auf die konkret beanstandete Ankündigung bezogen hätte. Ein die Einhaltung der beruflichen Sorgfalt rechtfertigendes Vertrauen auf die Prüfberichte könnte in diesem Zusammenhang jedenfalls nur dann bestehen, wenn darin auch eine nachvollziehbare Begründung für die Richtigkeit der konkret strittigen Aussage enthalten wäre. Vollends deutlich wird die fehlende Aussagekraft im Prüfbericht vom 20. Oktober 2010. Denn dort führt die Versuchsanstalt aus, die Probe entspreche den Bestimmungen der VO (EG) Nr 1924/2006 (Health Claims VO) „unter der Voraussetzung, dass die gesundheitsbezogenen Angaben nachweislich und nachvollziehbar wissenschaftlich belegt werden können.“ Eine inhaltliche Überprüfung hat hier also gerade nicht stattgefunden. Dieser Prüfbericht ist der jüngste der von der Beklagten vorgelegten. Er lässt es daher besonders zweifelhaft erscheinen, dass in den früheren Begutachtungen eine umfassende Prüfung erfolgt wäre. (OGH vom 17.04.2012, 4Ob47/12h)
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art.1 Abs.2 der Verordnung Nr. 1924/2006 dahin auszulegen ist, dass nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, auch wenn sich diese Mitteilungen nicht an den Endverbraucher, sondern ausschließlich an medizinische Fachkreise richten.
Innova Vital, deren Geschäfte von einem Arzt geführt werden, brachte in Deutschland ein in Tropfenform zu verabreichendes Vitamin-D3-haltiges Nahrungsergänzungsmittel unter dem Namen „Innova Mulsin® Vitamin D3“ in den Verkehr.
Im November 2013 richtete der Geschäftsführer von Innova Vital ausschließlich an namentlich genannte Ärzte ein Schreiben (im Folgenden: in Rede stehendes Schreiben), in dem es hieß:
„…
Sie kennen die Fakten: 87 % der Kinder in Deutschland haben Vitamin[-]D-Werte von unter 30 ng/ml im Blut. Laut [der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)] sollten es aber zwischen 50-75 ng/ml sein.
Wie schon in zahlreichen Studien beschrieben wurde, trägt Vitamin D maßgeblich zur Prävention mehrerer Krankheiten, wie z. B. atopische Dermatitis, Osteoporose, Diabetes mellitus und [Multiple Sklerose] bei. Nach diesen Studien ist ein zu niedriger Vitamin[-]D-Spiegel schon im Kindesalter mit verantwortlich für das spätere Auftreten der genannten Krankheitsbilder.
Aus diesem Grund habe auch ich meinem Sohn die empfohlenen Vitamin[-]D-Präparate verabreicht und dabei festgestellt, dass die herkömmliche Tablettenform von Säuglingen, Kleinkindern und auch Schulkindern nicht sehr gut angenommen wird. Mein Sohn spuckte diese regelmäßig wieder aus.
Darüber habe ich mir als Arzt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Immunologie Gedanken gemacht und eine Vitamin[-]D3[-]Emulsion (Innova Mulsin® D3) zur Verabreichung in Tropfenform entwickelt.
…
Vorteile der Mulsine:
…
schnelle Vorbeugung oder Beseitigung von Mangelzuständen (Vitamin[ ]D3[ ]Mangel bei 80 % der Bevölkerung im Winter beschrieben)
…
Direkt-Bestellkonditionen sowie kostenfreies Infomaterial für Ihre Praxis erhalten Sie unter …“
Das in Rede stehende Schreiben enthielt eine bebilderte Darstellung des Nahrungsergänzungsmittels Innova Mulsin® Vitamin D3 mit Angaben über seine Zusammensetzung, seinen Verkaufspreis und die Tagestherapiekosten nach der Dosierungsempfehlung von einem Tropfen täglich.
Zwar ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006, dass die Verwendung nährwert- oder gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig ist, wenn der durchschnittliche Verbraucher die positiven Wirkungen, die in der Angabe dargestellt werden, versteht.
Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass jede objektive Information über neue wissenschaftliche Entwicklungen, die Lebensmittelunternehmer unter Verwendung technischer oder wissenschaftlicher Terminologie – wie hier des Begriffs „atopische Dermatitis“ – an medizinische Fachkreise richten, verboten wäre.
Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 ist nämlich dahin zu verstehen, dass diese Bestimmung im Interesse einer sachkundigen Entscheidung des Endverbrauchers zur Anwendung gelangt, wenn die nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben unmittelbar dem Endverbraucher mitgeteilt werden. In einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits jedoch wird das solche Angaben enthaltende Schreiben, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nicht als solches dem Endverbraucher vorgelegt, sondern den medizinischen Fachkreisen übermittelt, die stillschweigend dazu aufgefordert werden, das betroffene Lebensmittel dem Endverbraucher zu empfehlen.
Darüber hinaus sieht der vierte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006 vor, dass die Verordnung auf Angaben in nicht kommerziellen Mitteilungen wie z. B. in den Ernährungsrichtlinien oder Empfehlungen staatlicher Gesundheitsbehörden und stellen oder in nicht kommerziellen Mitteilungen und Informationen in der Presse und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen keine Anwendung finden sollte.
Daher steht die Verordnung der objektiven Information medizinischer Fachkreise über neue wissenschaftliche Entwicklungen, die sich technischer oder wissenschaftlicher Terminologie bedient, nicht entgegen, wenn die Mitteilung nicht kommerzieller Art ist.
Vor diesem Hintergrund ist der Begriff „kommerzielle Mitteilung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung dahin zu verstehen, dass er u. a. Mitteilungen in Form einer Lebensmittelwerbung erfasst, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes dieser Lebensmittel dienen.
Eine solche Mitteilung kann jedoch auch die Form eines nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Verordnung enthaltenden Werbeschreibens annehmen, das Lebensmittelunternehmer an medizinische Fachkreise richten, damit diese ihren Patienten gegebenenfalls den Kauf und/oder den Verbrauch dieses Lebensmittels empfehlen.
Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1047/2012 der Kommission vom 8. November 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, auch wenn sich diese Mitteilungen nicht an den Endverbraucher, sondern ausschließlich an medizinische Fachkreise richten. (EuGH vom 14.7.2016, C-19/15, Verband sozialer Wettbewerb e.V. gegen Innova Vital GmbH)
Im vorliegenden Fall hängt die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers davon ab, ob die inkriminierte Angabe auf den Lebensmittelprodukten Art. 12 lit. c der EU-Claims-Verordnung widerspricht. Nach dieser Verordnungsbestimmung in der deutschen Sprachfassung vor der Berichtigung Amtsblatt L 160 vom 12. Juni 2013, Seite 15 (siehe dazu gleich unten), handelt es sich bei Angaben, die auf Empfehlungen von einzelnen Ärzten oder Vertretern medizinischer Berufe oder von Vereinigungen die nicht in Art. 11 genannt werden, verweisen, um unzulässige gesundheitsbezogene Angaben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis zur Zl. 2012/10/0105 ausgesprochen, dass es sich bei dem Hinweis auf den Wert von Lebensmitteln der auch hier gegenständlichen Produktschiene für eine ausgewogene Ernährung eindeutig um eine Empfehlung im Sinn der zitierten Verordnungsbestimmung handelt. Er kam unter Heranziehung von teleologischen und systematischen Argumenten sowie der englischen und französischen Sprachfassung der EU-Claims-Verordnung zum Ergebnis, dass es sich bei einer Diätologin um eine Vertreterin eines medizinischen Berufs im Sinn von Art. 12 lit. c dieser Verordnung handle und die inkriminierte Angabe auf einem Lebensmittelprodukt daher dieser Bestimmung in der Fassung vor der oben erwähnten Berichtigung der deutschen Sprachfassung widerspreche. Durch diese Berichtigung wurde die Wortfolge "Vertretern medizinischer Berufe" durch "Angehörigen von Gesundheitsberufen" ersetzt. Somit wurde nunmehr seitens des Verordnungsgebers klargestellt, dass von Art. 12 lit. c auch Empfehlungen von Diätologen, die zweifellos zu den "Gesundheitsberufen" zu zählen sind, umfasst sind. (VwGH vom 12.08.2014, 2013/10/0203)
„Nervosität" oder „Stress" sind zumindest im Zusammenhang mit dem Nikotinentzug als „krankhafte Beschwerden" im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 AMG anzusehen (zu diesem Begriff VwGH 97/10/0210: von der „Normbeschaffenheit abweichende Zustände" wie etwa Schlafstörungen). Ebenfalls krankheitsbezogen sind Angaben (teilweise auch der „aktuellen" Werbelinie), die auf eine unterstützende Wirkung - und zwar mangels deutlicher Unterscheidung auch des Granulats, nicht bloß der Attrappe als solcher - bei der „Raucherentwöhnung" hinweisen. Diese Aussagen beziehen sich eindeutig auf die Behandlung einer Krankheit (Nikotinabhängigkeit). (OGH vom 08.04.2008, 4Ob27/08m)
Ein verständiger Verbraucher wird aus der beanstandeten Werbung ableiten, dass das Produkt Krankheiten vorbeugt. Denn schon aus dem Aufbau der Anzeige ergibt sich, dass der Übersäuerung entgegengewirkt werden soll, um auch weitere Krankheiten (u.a. Arteriosklerose, Diabetes, Migräne) zu verhindern. Damit ist die Bekämpfung der „Übersäuerung" bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kein Wert an sich, sondern in erster Linie Mittel zum Zweck. Es besteht daher kein Zweifel, dass die Anzeige zumindest den Eindruck einer krankheitsvorbeugenden Wirkung hervorruft. Aber auch die Übersäuerung selbst wird ein verständiger Verbraucher im Gesamtzusammenhang als Krankheit verstehen, die mit dem Produkt behandelt werden kann. Denn wenn „akute Übersäuerung" ein „lebensgefährlicher Zustand" ist, muss jeder unbefangene Leser auch die bloße „Übersäuerung" für eine Krankheit halten, d.h. für eine zeitlich und intensitätsmäßig variable Störung der Normbeschaffenheit des Körpers (Barfuß/Smolka/Onder aaO 17; vgl. auch die EB zum AMG, 1060 BlgNR 15. GP). Diese Auffassung deckt sich mit der Rsp des VwGH zu § 9 LMG idF der LMG-Novelle 2003. Danach liegt eine verbotene Angabe schon dann vor, wenn auf einen Zustand Bezug genommen wird, bei dem „menschliche Organe oder Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren" (GZ 2002/10/0224 = JUS A/4189 - Verdauungsdragees). Das ist bei einer „Übersäuerung" offenkundig der Fall. (OGH vom 19.12.2006, 4Ob171/06k)
Die nährwertbezogene Angabe „ohne Fettzusatz“ ist zwar im Anhang zur VO 1924/2006 nicht angeführt und daher wegen des Verbotsprinzips unzulässig. Bei der beanstandeten Angabe „Erdnüsse, ohne Fett (im Ofen) geröstet“ handelt es sich jedoch nicht um eine solche, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung wie die Angabe „ohne Fettzusatz“ hat. Diese Angabe ist zusammen mit dem Hinweis „pikant gewürzt“ eine nützliche und wahrheitsgemäße Information für den Verbraucher über die Beschaffenheit des Produkts und steht im Zusammenhang mit der Herstellung von verschiedenen Produkten wie „Erdnüsse, ölgeröstet mit/ohne Salz“ und „Erdnüsse, trocken geröstet, pikant gewürzt“. Dem Verbraucher soll durch die Information über die Beschaffenheit des Lebensmittels die Wahl zwischen geschmacklich verschiedenen Erdnussprodukten ermöglicht werden.
Während die nährwertbezogene Angabe „ohne Fettzusatz“ auf die besondere Eigenschaft eines Produkts durch einen reduzierten Fettgehalt abstellt, umschreibt der Hinweis „ohne Fett geröstet“ nur die Art der Röstung und intendiert keine Aussage über Nährstoffe des Produkts. Es kann daher nicht von einer gleichbedeutenden bzw. synonymen Angabe zur Deklaration eines Produkts mit der Angabe „ohne Fettzusatz“ ausgegangen werden. Auch wenn, wie die AGES im Gutachten ausgeführt hat, in Fett geröstete Erdnüsse allein durch diese Art der Röstung 50 % statt 46 % Fett aufweisen und damit einen leicht erhöhten Fettanteil enthalten, wird dieser Umstand nicht schon durch die Angabe „ohne Fett geröstet“ zum Ausdruck gebracht. Für den durchschnittlichen Verbraucher der Erdnussprodukte ist in erster Linie der Geschmacksunterschied und nicht der nur geringfügige Unterschied im Fettgehalt wesentlich.
Dem europäischen Gesetzgeber ist vor allem wichtig, dass Angaben über Lebensmittel vom Verbraucher verstanden werden können und alle Verbraucher vor irreführenden Angaben geschützt werden (vgl Erwägungsgrund 16). Die an dieser Zielsetzung der EG-ClaimsVO orientierte teleologische Auslegung erfordert kein Verständnis des Hinweises „ohne Fett geröstet“ als nährwertbezogenen Angabe, nur weil darin formal die Worte „ohne Fett“ vorkommen. Für den aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher besteht nämlich keinerlei Täuschungsgefahr. Die Annahme einer unzulässigen nährwertbezogenen Angabe im gegebenen Fall eines korrekten Hinweises zur Herstellungsweise ohne denkbare Irreführungsmöglichkeit läuft nach hg Ansicht dem von der EG-ClaimsVO verfolgten Schutzzweck eines hohen Verbraucherschutzniveaus zuwider und verkehrt ihn geradezu ins Gegenteil, weil damit sinnvolle und unbedenkliche Informationen des Verbrauchers verhindert werden. (LvWG OÖ vom 23.06.2015, LVwG-000076/2/WEI)
Die Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25. März 1999 über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke enthält in Art. 1 Abs. 2 lit. b die wörtlich in § 1 Abs. 2 Z. 2 der Verordnung LebensmittelV diätetische medizinische Zwecke 2000 übernommene Definition von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke. Demnach dienen diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zunächst jedenfalls der Ernährung. Sie dienen jedoch auch der diätetischen "Behandlung" von "Patienten". Die Zweckwidmung muss sich somit auf kranke Personen beziehen (vgl. auch den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 1992/21/EG "Personen ..., die an bestimmten Krankheiten, Störungen oder Beschwerden leiden oder auf Grund von ihnen unterernährt sind"). Ziel einer solchen Behandlung ist es somit, durch eine an die besonderen Erfordernisse des Patienten angepasste Ernährung Einfluss auf das Krankheitsgeschehen zu nehmen, wozu auch gehören kann, Folgeerkrankungen bzw. das Risiko, dass solche auftreten, zu beeinflussen. Die Zweckwidmung eines Produktes für die Hintanhaltung von Folgeerkrankungen von bereits kranken Personen steht somit der Einstufung als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinn der Verordnung nicht entgegen. (VwGH vom 28.10.2015, Ra 2014/10/0004)