1.11 Hygiene

Bei Anhang II, Kapitel I, Ziffer 2 lit. b der Lebensmittelhygieneverordnung handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Pflicht vorzusorgen, dass die Waren nicht durch äußere Einwirkung nachteilig beeinflusst werden, setzt die Vorhersehbarkeit des nachteiligen Einflusses voraus. Eine abstrakte Gefährdung von Lebensmitteln durch Leuchtstoffröhren (ohne Berstschutz) ist nicht offenkundig.

Anhang II, Kapitel I, Ziffer 1 der Lebensmittelhygieneverordnung stellt aber nicht darauf ab, dass Betriebsstätten nur während der Zubereitung von Lebensmitteln sauber sein müssen. Vielmehr sind sämtliche Betriebsstätten der Lebensmittelkette ständig sauber zu halten. Es ist auch offenkundig, dass benutzte Schuhe und Gebrauchsgegenstände ohne klare räumliche Trennung zur Lebensmittelverarbeitung nicht mit einem sauberen Zustand in Einklang gebracht werden können.

Dass im vorliegenden Fall der Schutz vor Kontaminationen nicht ausreichend sichergestellt war, ergibt sich aus der nicht bestrittenen Feststellung, dass das Fenster eines ebenerdigen Zubereitungsraums für Lebensmittel im Mai unbeaufsichtigt ohne Insektengitter geöffnet war, sodass eine direkte Verbindung des Luftraums des Innenbereichs mit der Außenluft bestand hat und somit Schädlinge in den Reinbereich gelangen konnten (vgl VwGH 14.06.2012, 2011/10/0096). Die abstrakte Gefährdung von Lebensmitteln ist in diesem Fall offenkundig.

Voraussetzung für eine Bestrafung nach Anhang II, Kapitel I, Ziffer 2 lit. c der Lebensmittelhygieneverordnung ist, dass die Lebensmittelhygiene nicht gewährleistet ist. Das bloße (formale) Fehlen eines (schriftlichen) Schädlingsbekämpfungsplans alleine stellt noch keine Gefahr für die Lebensmittelhygiene dar. Vielmehr müssen tatsächliche Missstände auftreten, die zumindest zu einer abstrakten Gefährdung führen; etwa, wenn Schädlinge nicht am Eindringen in die Betriebsräume gehindert werden (dafür wird der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall ohnehin bestraft) oder, wenn bereist eingedrungene Schädlinge nicht bekämpft werden.

Nach Anhang II, Kapitel II, Ziffer 1 lit. f der Lebensmittelhygieneverordnung sind Flächen in Bereichen, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird, und insbesondere Flächen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, in einwandfreiem Zustand zu halten und müssen leicht zu reinigen und erforderlichenfalls zu desinfizieren sein. Sie müssen entsprechend aus glattem, abriebfestem, korrosionsfestem und nichttoxischem Material bestehen, es sei denn, die Lebensmittelunternehmer können gegenüber der zuständigen Behörde nachweisen, dass andere verwendete Materialien geeignet sind.

Aus dem Umstand, dass der Tisch aus Holz war, schließt die belangte Behörde, dass er nicht leicht zu reinigen und zu desinfizieren gewesen wäre. Ein solcher Schluss läuft auf ein absolutes Verbot von Holz in Lebensmittelbetrieben hinaus, was der Lebensmittelhygieneverordnung nicht unterstellt werden kann.

Nach Anhang II, Kapitel VIII, Ziffer 1 der Lebensmittelhygieneverordnung müssen Personen, die in einem Bereich arbeiten, in dem mit Lebensmitteln umgegangen wird, geeignete und saubere Arbeitskleidung und erforderlichenfalls Schutzkleidung tragen. Grundsätzlich ist eine nach der jeweiligen Situation geeignete Arbeitskleidung zu tragen (vgl auch VwGH 14.09.2004, 2001/10/0066).

Nach Anhang II, Kapitel V, Ziffer 1 lit. c der Lebensmittelhygieneverordnung müssen Gegenstände, Armaturen und Ausrüstungen, mit denen  Lebensmittel in Berührung kommen, so gebaut, beschaffen und instandgehalten sein, dass sie gereinigt und erforderlichenfalls desinfiziert werden können. Dies bedingt nicht, dass eine Geschirrspülmaschine vorhanden sein muss.

Sofern die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht erklärt hat, dass es Stand der Technik sei, einen Geschirrspüler zu verwenden, ist festzuhalten, dass Anhang II, Kapitel V, Ziffer 1 lit. c der Lebensmittelhygieneverordnung nicht den Stand der Technik fordert. (LVwG Tirol vom 21.06.22, LVwG 2021/44/1202-5)

Davon ausgehend, dass die normative Anordnung des Anhanges I Kapitel 2 Pkt. 2.2.8. der VO 2073/2005 als „Maßnahmen für den Fall unbefriedigender Ergebnisse“ selbst lediglich nicht näher determinierte „Verbesserungen in der Herstellungshygiene“ fordert, kommt dem Umstand essentielle Bedeutung zu, dass diese VO 2073/2005 einerseits nicht in der Anlage zum LMSVG (nämlich weder in Teil 1 noch [anders als z.B. die VO 852/2004] in Teil 2 dieser Anlage) aufgelistet ist und andererseits (etwa im Gegensatz zu der Fleischuntersuchungsverordnung 2006 u.a.) auch keine – z.B. auf § 6 LMSVG gestützte – Verordnung des BMinGes existiert, mit der nähere Vorschriften zur Durchführung der VO 2073/2005 erlassen wurden: Im Ergebnis resultiert nämlich daraus, dass ein bloßer Verstoß gegen spezifische, mit der VO 2073/2005 normierte Gebote – wie etwa die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bakteriengrenzwerte – (allenfalls administrativrechtliche Konsequenzen [wie z.B. einen Auftrag bezüglich „Verbesserungen in der Herstellungshygiene“] nach sich ziehen kann, jedenfalls aber) nicht nach dem LMSVG – insbesondere nicht nach § 90 Abs. 3 Z. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 LMSVG – strafsanktioniert ist. (LVwG OÖ vom 20.06.2014, LVwG-000037/2/Gf/Eg)

Am 30.08.2016 ab 10.40 Uhr wurde vom Lebensmittelaufsichtsorgan DD eine Kontrolle durchgeführt. …        
In der Küche konnte festgestellt werden, dass der in der Küche an der Wand befindliche Ventilator durch Fettablagerungen verunreinigt war. Das in der Küche befindliche Fenster war sowohl im Bereich des Rahmens, als auch auf dessen Fensterscheibe von einer Fettschicht überzogen. Weiters war der in der Küche befindliche Gasherd durch Lebensmittelrückstände verunreinigt. Bei den Verschmutzungen handelte es sich um alte Verschmutzungen. Auch sonst befand sich die Küche in einem schmutzigen Zustand. Eine Reinigung der Küche bis zum Aufsperren um 11:00 Uhr und Zubereitung von Speisen ab 11:30 Uhr wäre nicht möglich gewesen.          
Gemäß § 2 Abs 2 der Lebensmittelhygiene-Verordnung gelten in deren Anwendungsbereich die Begriffsbestimmungen der Verordnung (ÜG) Nr 178/2002 (des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002, im folgenden EG Basis Verordnung). Gemäß § 4 Abs. 2 Lebensmittelhygiene-Verordnung haben Lebensmittelunternehmer, die auf Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln tätig sind, die den Arbeitsgängen gemäß Abs. 1 (der Primärproduktion) nachgeordnet sind, (u.a.) die allgemeinen Hygienevorschriften gemäß Anhang II zu erfüllen.   
Der Schutzzweck der einzuhaltenden Hygienevorschriften ist die Gewährleistung der Sicherheit von Lebensmitteln. Eine Küche gehört laufend sauber gehalten und insbesondere ist diese nach Küchenschluss zu reinigen und gegebenenfalls die entsprechenden Gegenstände zu desinfizieren. Eine Schnellreinigung vor Öffnung des Restaurants ist keinesfalls ausreichend, entstehen doch auch über Nacht oder über einen längeren Zeitraum hinweg Keime, Bakterien oder Schimmel (LVwG Tirol vom 04.09.2019, LVwG-2018/46/2085-7)

Davon ausgehend, dass Anhang II zur VO 852/2004 – wie schon aus dessen Überschrift hervorgeht („Allgemeine Hygienevorschriften für alle Lebensmittelunternehmer“) – in weiten Bereichen identische Schutzgüter regelt, hätte die belangte Behörde sohin nicht unbesehen jeden vom einschreitenden Lebensmitteluntersuchungsorgan angezeigten Mangel als ein eigenständiges deliktisches Verhalten qualifizieren dürfen, sondern vielmehr zu prüfen gehabt, ob bzw. inwieweit durch die Heranziehung eines bestimmten Deliktstypus der Unrechts- und Schuldgehalt des Täterverhaltens bereits vollständig erschöpft ist, sodass kein weiteres Strafbedürfnis mehr gegeben ist. Da eine derartige inhaltliche Überlagerung jedoch beispielsweise schon hinsichtlich der beiden ersten Tatvorwürfe gegeben ist (Konzeption von Räumen, in denen „Lebensmittel zubereitet, behandelt oder verarbeitet werden“ bzw. „in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird“, derart, dass „eine gute Lebensmittelhygiene gewährleistet ist und Kontaminationen zwischen und während den Arbeitsgängen vermieden werden“ [Anh. II Kap. II Z. 1 zur VO 852/2004] bzw. „dass eine angemessene Instandhaltung, Reinigung und/oder Desinfektion möglich ist“ [Anh. II Kap. I Z. 2 lit. a zur VO 852/2004]), liegt insoweit auch eine Verletzung des Beschwerdeführers in der ihm durch Art. 4 Abs. 1 des 7.ZPMRK verfassungsmäßig gewährleisteten Garantie vor. (UVS OÖ vom 15.11.2013, VwSen-240966/2/Gf/TR/Rt)

Die Nrn. 1.14 und 1.15 des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs sind dahin auszulegen, dass das Erzeugnis, das durch maschinelles Ablösen des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches gewonnen wird, als „Separatorenfleisch“ im Sinne von Nr. 1.14 einzustufen ist, wenn das eingesetzte Verfahren zu einer stärkeren Auflösung oder Veränderung der Muskelfaserstruktur führt, als sie rein an Schnittflächen eintritt; dies gilt unabhängig davon, dass das eingesetzte Verfahren die Struktur der verwendeten Knochen nicht ändert. Ein solches Erzeugnis kann nicht als „Fleischzubereitung“ im Sinne von Nr. 1.15 eingestuft werden. (EuGH vom 16.10.2014 C-453/13)

Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angibt, dass das Kontrollsystem in der gegenständlichen Filiale grundsätzlich wirkungsvoll sei, was daran erkennbar sei, dass Kontrollgänge ordnungsgemäß stattgefunden hätten und ein entsprechender Auftrag an den Kältetechniker erteilt worden sei, so reichten diese Maßnahmen ganz offensichtlich nicht aus, um – wie im Gegenstand –

zu verhindern, dass sämtliche Waren in der Kühlvitrine der Feinkost stark erhöhte Temperaturen aufwiesen (Kerntemperaturen von bis zu 30 °C), diese Waren dennoch in den defekten Kühlvitrinen verblieben und den Kunden zum Kauf angeboten wurden. Das Vorbringen, dass die darüber hinausgehenden erforderlichen Maßnahmen ausnahmsweise aufgrund einer Verkettung einer Reihe von äußerst ungünstigen Umständen nicht zeitgerecht ergriffen worden seien (Personalmangel aufgrund von Urlauben und Krankenständen), ist nicht geeignet, mangelndes Verschulden darzutun. So ist das bloße Verständigen eines Kältetechnikers, nachdem bereits morgens erhöhte Temperaturen in der Käsetheke festgestellt wurden, keinesfalls ausreichend, die gegenständlichen Verwaltungsübertretungen zu verhindern, indem im Gegenstand – offenbar über Stunden unbemerkt – sämtliche Kühlvitrinen der Feinkost defekt waren, die augenscheinlich genussuntauglichen Waren dennoch in den Kühlvitrinen verblieben und zum Verkauf angeboten wurden. (LVwG NÖ vom 31.01.2022, S-1466/001-2021)

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