2.1 Allgemeines
Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob – und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen – Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1223/2009 dahin auszulegen ist, dass er das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln auf dem Unionsmarkt verbietet, bei denen einige Bestandteile durch Tierversuche außerhalb der Union bestimmt worden sind, um kosmetische Mittel in Drittländern vermarkten zu können.
Um diese Fragen zu beantworten, ist insbesondere zu prüfen, ob die Wendung „zur Einhaltung der Bestimmungen [der Verordnung Nr. 1223/2009]“ in Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Tierversuche wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erfassen kann.
Ihrer üblichen Bedeutung im gewöhnlichen Sprachgebrauch zufolge legt diese Wendung nahe, dass sie auf die den fraglichen Versuchen zugrunde liegende Absicht Bezug nimmt, die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1223/2009 einzuhalten. Bei einer rein wörtlichen Betrachtungsweise lässt sich die Wendung somit dahin auslegen, dass sie die Erbringung des Nachweises voraussetzt, dass es dem für diese Versuche Verantwortlichen während ihrer Durchführung darum ging, die Bestimmungen dieser Verordnung einzuhalten. Nach einer solchen Auslegung wären Tierversuche wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die von dem Bestreben, Rechtsvorschriften von Drittländern über die Sicherheit kosmetischer Mittel zu erfüllen, geleitet gewesen sein sollen, nicht von dem in der fraglichen Bestimmung enthaltenen Verbot erfasst.
Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts jedoch nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 10. Juli 2014, D. und G., C‑358/13 und C‑181/14, EU:C:2014:2060, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Verordnung Nr. 1223/2009 enthält ferner Regeln, mit denen ein Niveau des Schutzes von Tieren im Kosmetiksektor geschaffen werden soll, das höher als das in anderen Sektoren geltende Schutzniveau ist. Aus einer Gesamtschau der Erwägungsgründe 38 bis 42 sowie 45 und 50 ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber im Rahmen dieser Verordnung dem Wohlergehen der Tiere Rechnung tragen wollte, und zwar u. a dadurch, dass er eine Verwendung tierversuchsfreier Alternativmethoden zur Gewährleistung der Sicherheit von Produkten im Kosmetiksektor, die umfassender als in anderen Sektoren sein soll, aktiv fördert. Aus dem 42. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt sich insbesondere, dass es zunehmend möglich sein wird, die Sicherheit der in kosmetischen Mitteln verwendeten Bestandteile mit Hilfe solcher Methoden zu gewährleisten und dass, „[u]m ein Höchstmaß an Schutz für die Tiere zu erreichen, … eine Frist für die Einführung eines endgültigen Verbots [der anderen Methoden] festgesetzt werden“ sollte.
Da die Verordnung Nr. 1223/2009 somit darauf abzielt, die Bedingungen für den Zugang von kosmetischen Mitteln zum Unionsmarkt festzulegen und ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten, wobei zugleich für das Wohlergehen der Tiere gesorgt werden soll, indem im Bereich kosmetischer Mittel Tierversuche verboten werden, muss Art. 18 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin verstanden werden, dass er diesen Marktzugang an die Beachtung des Verbots von Tierversuchen knüpft.
In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass im Rahmen der Sicherheitsbewertung, die nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1223/2009 für ein kosmetisches Mittel erforderlich ist, Tierversuche in Betracht gezogen werden können. Nach Abs. 1 Buchst. b dieses Artikels ist sicherzustellen, dass bei dieser Sicherheitsbewertung ein angemessenes Beweiskraftkonzept für die Überprüfung der Daten aus allen vorhandenen Quellen angewandt wird. Allerdings sieht Anhang I Abschnitt 8 dieser Verordnung vor, dass das toxikologische Profil, das Bestandteil des Sicherheitsberichts für ein kosmetisches Mittel ist, unbeschadet der Bestimmungen von Art. 18 dieser Verordnung zu erstellen ist.
Tierversuche, deren Ergebnisse nicht in diesem Bericht aufscheinen, sind daher nicht als „zur Einhaltung der Bestimmungen [der Verordnung Nr. 1223/2009]“ im Sinne von Art.18 Abs.1 Buchst. b dieser Verordnung durchgeführt anzusehen. Lässt sich die Sicherheitsbewertung für das kosmetische Mittel auch ohne diese Ergebnisse gewährleisten, hängt der Zugang dieses Mittels zum Unionsmarkt nämlich nicht von solchen Versuchen ab.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass – wie der Generalanwalt in den Nrn. 94, 95 und 98 seiner Schlussanträge dargelegt hat – das in Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1223/2009 aufgestellte Verbot nicht schon dann gilt, wenn in der Produktinformationsdatei für das kosmetische Mittel aus Tierversuchen gewonnene Daten angeführt werden. Denn nach Art. 11 der Verordnung muss diese Datei Daten über jegliche, insbesondere vom Hersteller durchgeführten Tierversuche zur Erfüllung der Rechtsvorschriften von Drittländern enthalten.
Dagegen reicht der Umstand, dass im Sicherheitsbericht für ein kosmetisches Mittel Ergebnisse von Tierversuchen mit einem Bestandteil zum kosmetischen Gebrauch angeführt werden, um die Sicherheit dieses Bestandteils für die menschliche Gesundheit nachzuweisen, für die Feststellung aus, dass diese Versuche zur Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1223/2009 durchgeführt wurden, um Zugang zum Unionsmarkt zu erhalten.
Unerheblich ist insoweit, dass es dieser Tierversuche bedurfte, um die Vermarktung kosmetischer Mittel in Drittländern zu ermöglichen.
Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel ist dahin auszulegen, dass er das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln auf dem Markt der Europäischen Union, bei denen einige Bestandteile durch Tierversuche außerhalb der Union bestimmt worden sind, um kosmetische Mittel in Drittländern vermarkten zu können, verbieten kann, wenn die dabei gewonnenen Daten verwendet werden, um die Sicherheit dieser Mittel im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen auf dem Unionsmarkt nachzuweisen. (EuGH vom 21.09.2016, C-592/14, European Federation for Cosmetic Ingredients gegen Secretary of State for Business, Innovation and Skills, Attorney General)