Leitlinie für gezüchtete Insekten als Lebensmittel

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BMGF-75210/0003-II/B/13/2017 vom 15.2.2017

Änderungen, Ergänzungen
2021-0.321.233 vom 10.05.2021
2021-0.790.060 vom 16.12.2021
2022-0.428.410 vom 28.06.2022

 

 

 

  1. Einleitung
    1. Allgemeines
      Diese Leitlinie soll eine Orientierungshilfe in Bezug auf die Produktion, das Inverkehrbringen, die Lebensmittelsicherheit und die Überwachung von gezüchteten Insekten als Lebensmittel darstellen.
    2. Geltungsbereich
      Die Leitlinie gilt für alle Lebensmittelunternehmer:innen, die ganze Insekten aus Zucht als Lebensmittel auf den österreichischen Markt bringen. Insekten aus Wildfangwerden nicht als Lebensmittel in Verkehr gebracht. Die nachfolgende Liste beschränkt sich auf die derzeit in Österreich als Lebensmittel relevanten Insektenarten. Die Verantwortung für ordnungsgemäße Klassifizierung liegt bei dem:der Züchter:in:

      Insektenart Ordnung Unterordnung Verzehrtes
      Entwicklungsstadium
      Acheta domesticus
      (Heimchen, Cricket)
      Orthoptera
      (Heuschrecken)
      Caelifera
      (Langfühlerschrecken)
      Imago
      (adulte Form)
      Locusta migratoria
      (Wanderheuschrecke,
      Migratory Locust)
      Orthoptera
      (Heuschrecken)
      Ensifera
      (Kurzfühlerschrecken)
      Imago
      (adulte Form)
      Alphitobius diaperinus
      (Getreideschimmelkäfer,
      Litter Beetle)
      Coleoptera
      (Käfer)
        Larve
      (Kleiner Mehl
      wurm, Buffalo
      Wurm)
      Tenebrio molitor
      (Mehlkäfer, Yellow Meal
      Beetle)
      Coleoptera
      (Käfer)
        Larve
      (Mehlwurm)
    3. Rechtliche Einstufung
      Laut EG-Basisverordnung1 sind "Lebensmittel" alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Insekten, welche für die Lebensmittelproduktion bestimmt sind, sind demzufolge als Primärerzeugnisse gemäß Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 einzustufen. Sie unterliegen dem Rechtsrahmen des österreichischen Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes (LMSVG)2. Die Regelungen der Verordnung über allgemeine Lebensmittelhygiene3 samt Durchführungs- und Änderungsverordnungen sind zu beachten.
      1. Regelungen
        Derzeit gibt es keine spezifischen Regelungen für gezüchtete Insekten (als Lebensmittel) wie es sie für andere Lebensmittel tierischer Herkunft gibt. Lebensmittelunternehmer:innen tragen die Verantwortung, dass nur sichere Lebensmittel in Verkehr gebracht werden. Sie können die Verkehrsfähigkeit
        ihrer Produkte überprüfen lassen4.
        Bei der Züchtung von Insekten als Lebensmittel müssen Aspekte, wie adäquate Haltung, Fütterung, Tötung und Lagerung, Verhinderung des Auskommens lebender Tiere, der Arbeitnehmer:innen (Allergisierungsgefahr), die fachgerechte Entsorgung von Abfällen etc., berücksichtigt werden. Es wird daher darauf hingewiesen, dass der:die Unternehmer:innen in diesem Falle ebenfalls Verantwortung im Sinne der diesbezüglich geltenden Gesetzgebung übernehmen.
        1. EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel
          Unter neuartigen Lebensmitteln („Novel Food“) sind jene Lebensmittel zu verstehen, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in signifikanter Menge in der Europäischen Union als Lebensmittel verzehrt wurden. Solche Lebensmittel bedürfen einer EU-weiten Zulassung. Verarbeitete5  und ganze Insekten sind vom Anwendungsbereich der aktuellen Verordnung Novel Food Verordnung (EU) 2015/22836 umfasst. Gemäß dem Urteil des EuGHs vom 1. Oktober 2020 (Rechtssache C-526/19)7 fallen ganze Insekten nicht in den Anwendungsbereich der bisherigen Novel Food Verordnung (EG) 258/1997.
          Dem EuGH-Urteil folgend gelten für ganze Insekten die Übergangsbestimmungen gemäß Art. 35 der Novel Food Verordnung (EU) 2015/2283. Erst nach positivem Entscheid über die fristgerecht eingebrachten Zulassungsanträge und Aufnahme in die Unionsliste (Auflistung aller zugelassenen neuartigen Lebensmittel) ist ein  Inverkehrbringen zulässig. Gemäß Verordnung (EU) 2015/2283 müssen Anträge bzw. Meldungen von traditionellen Lebensmitteln an die Europäische Kommission gestellt werden, welche in Folge von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertet werden. Die Zulassungen sind in ganz Europa gültig und werden in Form einer Unionsliste geführt.
  2. Aufzucht und Fütterung
    • Personalhygiene
      Siehe Beilage 11 und 11a der Leitlinie für eine gute Hygienepraxis und die Anwendung der Grundsätze des HACCP bei der Schlachtung und Zerlegung von Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen und Einhufern sowie bei der Herstellung von Fleischerzeugnissen https://www.verbrauchergesundheit.gv.at/lebensmittel/buch/hygieneleitlinien/schlachtung.html 
    • Aufzucht – räumliche Bedingungen und Produktionshygiene
      • werden so gestaltet, dass ein Schutz vor Schadorganismen gewährleistet ist und auch gezüchtete Insekten nicht ins Freie gelangen können. Es soll eine artenreine Zucht gewährleistet werden.
      • Werden im selben Betrieb Insekten auch für andere Zweckbestimmungen (keine Lebensmittel) gezüchtet, so kommt die vorliegende Leitlinie zur Anwendung, sofern es keine räumliche Trennung der Produktionslinien gibt.
    • Fütterung
      • Zur Lebensmittelgewinnung gezüchtete Insekten werden nur mit für die Nutztierfütterung geeigneten Futtermitteln gefüttert. Die Bestimmung der Futtermittelhygiene-VO8 werden eingehalten. Speiseabfälle9 und tierisches Eiweiß10 werden nicht verfüttert.
  3. Tötung
    Die gezüchteten Insekten werden durch Tieffrieren bei mindestens -18 °C oder tiefer getötet. Alternativ besteht bei bestimmten Arten (nicht flugfähige Entwicklungsstadien, z. B. Käferlarven wie Mehlwürmer, Buffalo Worms) auch die Möglichkeit derAbtötung in kochendem Wasser oder Dampf bei über 100 °C.
  4. Behandlung
    Gezüchtete Insekten werden nur in Verkehr gebracht, wenn sie nach Tötung einer Hitzebehandlung oder Behandlung mit anderen Methoden z. B. Hochdruckbehandlung, unterzogen werden, die gewährleisten, dass vegetative Keime abgetötetwerden. Eine effektive Keimabtötung für das Verfahren muss nachgewiesen werden (siehe Abs. 5).
  5. Untersuchungsparameter
    1. Organoleptik
    2.  Mikrobiologische Untersuchungsparameter
      • Untersuchungsumfang:
        • Gesamtkeimzahl11
        • Enterobacteriaceae11
        • Escherichia coli12
        • Staphylococcus aureus12
        • Bacillus cereus11
        • Clostridium perfringens
        • Salmonella spp.13
        • Campylobacter spp.
        • Listeria spp.
          • Listeria monocytogenes
    3. Chemische Untersuchungsparameter
      • Überprüfung der Nährwertangaben
        • Eiweiß
          • Bei der Analyse des Gesamtproteingehalts ist der Chitin-Gehalt14 entsprechend zu berücksichtigen.
        • Rückstände und Kontaminanten15
  6. Anforderungen an das Inverkehrbringen
    • Gezüchtete Insekten werden nur in Verkehr gebracht, wenn sie nach Tötung einer Behandlung unterzogen wurden, die gewährleistet, dass vegetative Keime abgetötet werden.
    • Die so behandelten gezüchteten Insekten können gekühlt, tiefgefroren, getrocknet (gefriergetrocknet) in Verkehr gebracht werden. Sie sollten unter Ausschluss von Luftsauerstoff verpackt werden (Vakuum oder Schutzgas).
    • Die Kennzeichnung erfolgt gemäß Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV)16.
      Darüber hinaus wird Folgendes empfohlen:
      • Bezeichnung der gezüchteten Insekten - gemeiner und wissenschaftlicher Name
      • Allergenhinweis
        z. B. „Insekten können Kreuzreaktionen bei Personen mit Allergien auf Schalen- und Krustentieren sowie Hausstaubmilben auslösen“.
      • Hinweis, dass es sich um Insekten aus einer Zucht handelt.
      • Zubereitungs- bzw. Verbraucherhinweise, z. B. dass Beine und Flügel vor der Zubereitung bzw. dem Verzehr entfernt werden müssen.

 

1 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit
2 Bundesgesetz über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz – LMSVG), BGBl. I Nr. 13/2006 idgF
3 Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene
4 Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
5 Gemäß Art. 2 der VO (EG) Nr. 852/2004
6  Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 1852/2001 der Kommission (Text von Bedeutung für den EWR).
7 Vorlage zur Vorabentscheidung - Lebensmittelsicherheit - Neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten - Verordnung (EG) Nr. 258/97 - Art. 1 Abs. 2 Buchst. e - Begriff 'Aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten' - Inverkehrbringen - Für den menschlichen Verzehr bestimmte ganze Insekten".
8 Verordnung (EG) Nr. 183/2005 mit Vorschriften für die Futtermittelhygiene.
9 Vgl. VO (EG) Nr. 1069/2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte, sowie DurchführungsVO (EU) Nr. 142/2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte.
10 Vgl. VO (EG) Nr. 999/2001 mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien.
11 Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, Schweiz: Informationsschreiben 2017/1 Produktion und Verarbeitung von Insekten zur Verwendung als Lebensmittel, S.8 311.2/2016/00219\COO.2101.201.7.491821\000.00.01
12 Grenzwerte (Anhaltspunkt für Keimzahl, Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel, Anhang I Kap. 2.4.1 Erzeugnisse von gekochten Krebs- und Weichtieren ohne Panzer bzw. Schale)
13 Grenzwerte (Anhaltspunkt für Keimzahl, Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel, Anhang I Kap. 1.16 Gekochte Krebs- und Weichtiere)
14 Da zurzeit keine normierte Methode zur Bestimmung des Stickstoffgehaltes aus Chitin vorliegt, wird zur Ergänzung der Leitlinie eine geeignete Methode für die Kontrolle bereitgestellt werden.
15 Derzeit werden Daten hierzu gesammelt.
16 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission.

 

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