Aus Art. 8 Abs. 1 LMIVO ergibt sich zunächst die Verantwortlichkeit des Lebensmittelunternehmers, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird, für die Information (vgl. neuerlich VwGH Ra 2017/10/0121). Diesen Lebensmittelunternehmer trifft auch die in Abs. 2 leg. cit. normierte Gewährleistungspflicht. Die in diesen beiden Absätzen des Art. 8 LMIVOgeregelte Verantwortlichkeit trifft im Revisionsfall unzweifelhaft die L Stiftung.

Eine Verantwortlichkeit der L Österreich nach Art. 8 LMIVO scheidet damit nach dem oben dargelegten Prinzip der Kettenverantwortung aber nicht von vornherein aus. Es ist vielmehr zu prüfen, ob einer der Abs. 3 bis 5 des Art. 8 LMIVO anwendbar ist.

Eine Verantwortlichkeit der L Österreich im Revisionsfall nach Abs. 3 leg. cit. kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil dem Mitbeteiligten als Außenvertretungsbefugten nicht die „Abgabe“ des beanstandeten Produkts, sondern das bloße Bereithalten zum baldigen Verkauf zur Last gelegt wurde. Aus dem Umstand, dass der Unionsrechtsgesetzgeber den engeren Begriff „Abgabe“ verwendet und sohin nicht auf das umfassendere „Inverkehrbringen“ abstellt, ist abzuleiten, dass nach Art. 8 Abs. 3 LMIVO das Anbieten bzw. Bereithalten von Lebensmitteln für Verkaufszwecke nicht umfasst ist.Nach dem Sinngehalt des Wortes „Abgabe“ ist nur die Weitergabe der Lebensmittel unzulässig und nicht schon das bloße Feilhalten; das bloße Feilhalten von Lebensmitteln, die dem Lebensmittelinformationsrecht nicht entsprechen, ist daher keine Zuwiderhandlung gegen Art. 8 Abs. 3 LMIVO (vgl. zu all dem Blass ua., aaO, Rz 38, auch unter Hinweis auf die englische Sprachfassung, die den Begriff „supply“ verwendet).

Ebenso scheidet der Tatbestand des nach Abs. 4 leg. cit. aus, weil im Revisionsfall von der L Österreich keine Änderung der Informationen im Sinne dieser Bestimmung vorgenommen wurde.

Zu prüfen ist somit die Verantwortlichkeit der L Österreich nach Art. 8 Abs. 5 LMIVO.

„Unbeschadet“ der in den Abs. 2 bis 4 leg. cit. geregelten Verantwortlichkeiten normiert diese Bestimmung die Verpflichtung von Lebensmittelunternehmern, die Einhaltung der für ihre Tätigkeiten relevanten Anforderungen des Lebensmittelinformationsrechts und der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften sicher zu stellen und die Einhaltung dieser Vorschriften nachzuprüfen. Damit wird - unabhängig davon, ob die (unterschiedlichen) Lebensmittelunternehmer ihre sich aus den Abs. 2 bis 4 ergebenden Verpflichtungen erfüllt haben - eine besondere Verantwortung für die Lebensmittelinformation geregelt, die für die Lebensmittelunternehmer auf jeder Vertriebsstufe relevant ist. So soll bereits der Lebensmittelunternehmer (im Sinne des Art. 8 Abs. 1 und 2 LMIVO), unter dessen Namen ein Lebensmittel vermarktet wird, verpflichtet werden, ein geeignetes Kontrollsystem zur Sicherstellung der Richtigkeit der Lebensmittelinformation einzuführen. Gleiches gilt für die Lebensmittelunternehmer anderer Vertriebsstufen.

Sinn und Zweck der Regelung des Abs. 5 des Art. 8 LMIVO ist nicht die Anordnung einer verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung, sondern die Betonung eines besonderen Sorgfaltsmaßstabs: Demnach muss sich jeder Lebensmittelunternehmer im Rahmen des jeweils Möglichen und Zumutbaren von der Übereinstimmung der konkreten Lebensmittelinformation mit den einschlägigen Rechtsvorschriften überzeugen (vgl. Blass ua., aaO, Rz 48 f).

Im Ergebnis bedeutet das, dass - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - jeder Lebensmittelunternehmer (in Österreich) innerhalb der Vertriebskette nach Maßgabe des österreichischen nationalen Rechts (verwaltungsstraf-)rechtlich für jede Übertretung, die an das Inverkehrbringen anknüpft oder einen formalen Verstoß gegen das LMSVG bzw. gegen eine auf dessen Grundlage ergangene Verordnung verwirklicht, in Anspruch genommen werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn der Verstoß primär auf eine Sorgfaltspflichtverletzung eines Lebensmittelunternehmers einer vorgelagerten Vertriebsstufe zurückzuführen ist. Ob der Unternehmer (bzw. ein Außenvertretungsbefugter oder verantwortlicher Beauftragter gemäß § 9 VStG) sorgfaltswidrig gehandelt hat, ist bei der Prüfung der Fahrlässigkeit zu untersuchen (vgl. Natterer, aaO.; zu den Sorgfaltspflichten bzw. dem Erfordernis der Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems in diesem Zusammenhang vgl. etwa VwGH 19.2.2014, 2013/10/0206, mit Hinweis auf VwGH 14.6.2012, 2009/10/0080 und 0081).

Demnach erweist sich die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die L Österreich könne im Revisionsfall eine Verantwortlichkeit für den Vertrieb des in Rede stehenden, nicht ordnungsgemäß gekennzeichneten Lebensmittels nach Art. 8 Abs. 5 LMIVO nicht treffen, als verfehlt. Vielmehr ist eine Verantwortlichkeit dieses Unternehmens - ein entsprechendes Verschulden des Mitbeteiligten nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 VStG vorausgesetzt - nach Abs. 5 leg. cit. gegeben.
Eine Verwaltungsübertretung ist regelmäßig als dort begangen anzusehen, wo der Täter gehandelt hat oder, bei Unterlassungsdelikten hätte handeln sollen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der Frage, wo der Täter gehandelt hat oder hätte handeln sollen, stets auf das betreffende Tatbild Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 27.3.2019, Ra 2017/10/0147, mit zahlreichen Rechtsprechungshinweisen).

Das Bereithalten eines Produkts fällt unter den Begriff des „Inverkehrbringens“ im Sinne des § 3 Z 9 LMSVG iVm Art. 3 Z 8 der EG-BasisVO (vgl. VwGH 29.10.2007, 2007/10/0204).

Dabei handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um ein Begehungsdelikt; Tatort ist in diesem Fall der Ort, wo das Lebensmittel in Verkehr gebracht wurde (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2017/10/0169, mit zahlreichen Rechtsprechungshinweisen; vgl. weiters das erwähnte Erkenntnis VwGH Ra 2017/10/0147).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die Verwaltungsübertretung der Mitbeteiligte als Außenvertretungsbefugter im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG einzustehen hat. Begehungsdelikte werden nicht dadurch zu Unterlassungsdelikten, dass ein Außenvertretungsbefugter für die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift verantwortlich ist. Dem Außenvertretungsbefugten wird in diesen Fällen nämlich nicht der Vorwurf gemacht, er habe es unterlassen, dafür zu sorgen, dass die nicht entsprechend gekennzeichnete Ware nicht in Verkehr gebracht werde. Ihn trifft vielmehr der Vorwurf des Inverkehrbringens dieser Ware (vgl. VwGH 29.5.1995, 94/10/0173, zum verantwortlichen Beauftragten nach § 9 VStG). (VwGH vom 12.10.2020, Ro 2018/10/0047)

Siehe auch: LVwG-000302/2/Gf/Rok_01

Dies gilt auch für Hofläden. Siehe auch: LVwG Tirol vom 2.12.2021, LVwG-2021/44/1136-3