1.7.9 Präsentationsarzneimittel – Ausnahme Anwendung nach komplementärmedizinischen Methoden?
Die Arzneimitteleigenschaft kann sich damit sowohl aus der tatsächlichen Funktion (Art 1 Nr. 2 lit b GemeinschaftskodexRL (RL 2001/83/EG); „dazu dienen“ in § 1 Abs. 1 AMG) als auch aus der Präsentation (Art 1 Nr 2 lit a GemeinschaftskodexRL; „dazu bestimmt“ in § 1 Abs 1 AMG) eines Stoffs als Arzneimittel ergeben (RIS-Justiz RS0051450 [insb T3, T7]; zuletzt etwa 4 O. 27/08m = ÖBl 2008, 325 [Schultes] - Zigarettenattrappe; EuGH Rs C-60/89, Monteil, Slg 1991 I-1547, Rz 10 f; zuletzt mwN EuGH Rs C-84/06, Antroposana, Slg 2007 I-07609, Rz 31). Auch pharmakologisch wirkungslose Erzeugnisse können aus diesem Grund bei einer entsprechenden Produktaufmachung unter den Arzneimittelbegriff fallen (4 Ob 27/08m – Zigarettenattrappe mwN).
Die in § 1 Abs 1 AMG und in der deutschen Fassung von Art 1 Nr 2 lit a GemeinschaftskodexRL enthaltene Formulierung „dazu bestimmt“ ist - wie sich insbesondere aus der englischen und französischen Fassung der Richtlinie ergibt - ebenfalls im Sinn einer „Präsentation“ zu verstehen. Ursprünglich war auch deren deutsche Fassung entsprechend formuliert gewesen („alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die … bezeichnet werden“); erst mit der RL 2004/27/EG wurde das im Sinn der nunmehr geltenden Regelung geändert („zu Heilung oder Linderung … bestimmt“). Die eng-lische und die französische Fassung blieben aber in diesem Punkt unverändert, und auch die Erwägungsgründe der Richtlinie bieten keine Erklärung für die Umformulierung. Damit steht außer Frage, dass der europäische Gesetzgeber hier keine grundlegende Änderung der unionsrechtlichen Arzneimitteldefinition - im Sinn einer Abkehr vom „Präsentationsarzneimittel“ - vornehmen wollte. Die oben dargestellte Rechtsprechung ist daher weiterhin maßgebend.
Bei der Prüfung, ob ein Präsentationsarzneimittel vorliegt, ist entscheidend, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Angaben zum Produkt auffassen, nicht dagegen, wie sie der Werbende verstanden wissen wollte (4Ob 74/92 = ÖBl 1993, 68 - CAPPILARIS Haaraktivator; RIS-Justiz RS0051461; zuletzt etwa 4 Ob 27/08m - Zigarettenattrappe).
Das Argument der Beklagten, der Hinweis auf eine „Rezeptur nach Hildegard von Bingen“ begründe die Ausnahme nach § 1 Abs 3 Z 9 AMG, greift auf dieser Grundlage nicht durch. Denn die letztgenannte Bestimmung nimmt zwar Stoffe vom Arzneimittelbegriff aus, die ausschließlich dazu bestimmt sind, nach „komplementärmedizi-nischen“ Methoden angewendet zu werden. Das gilt aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut gerade nicht für Stoffe, die - wie hier - unter die Definition des § 1 Abs 1 Z 1 - 4 AMG fallen (außer es handelte sich - anders als hier - um Homöopathika). (OGH vom 16.02.2011, 17Ob14/10y)