1.6 Zur Irreführung geeignete Angaben

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art.1 Abs.2 der Verordnung Nr. 1924/2006 dahin auszulegen ist, dass nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, auch wenn sich diese Mitteilungen nicht an den Endverbraucher, sondern ausschließlich an medizinische Fachkreise richten.

Innova Vital, deren Geschäfte von einem Arzt geführt werden, brachte in Deutschland ein in Tropfenform zu verabreichendes Vitamin-D3-haltiges Nahrungsergänzungsmittel unter dem Namen „Innova Mulsin® Vitamin D3“ in den Verkehr.

Im November 2013 richtete der Geschäftsführer von Innova Vital ausschließlich an namentlich genannte Ärzte ein Schreiben (im Folgenden: in Rede stehendes Schreiben), in dem es hieß:

„…

Sie kennen die Fakten: 87 % der Kinder in Deutschland haben Vitamin[-]D-Werte von unter 30 ng/ml im Blut. Laut [der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)] sollten es aber zwischen 50-75 ng/ml sein.

Wie schon in zahlreichen Studien beschrieben wurde, trägt Vitamin D maßgeblich zur Prävention mehrerer Krankheiten, wie z. B. atopische Dermatitis, Osteoporose, Diabetes mellitus und [Multiple Sklerose] bei. Nach diesen Studien ist ein zu niedriger Vitamin[-]D-Spiegel schon im Kindesalter mit verantwortlich für das spätere Auftreten der genannten Krankheitsbilder.

Aus diesem Grund habe auch ich meinem Sohn die empfohlenen Vitamin[-]D-Präparate verabreicht und dabei festgestellt, dass die herkömmliche Tablettenform von Säuglingen, Kleinkindern und auch Schulkindern nicht sehr gut angenommen wird. Mein Sohn spuckte diese regelmäßig wieder aus.

Darüber habe ich mir als Arzt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Immunologie Gedanken gemacht und eine Vitamin[-]D3[-]Emulsion (Innova Mulsin® D3) zur Verabreichung in Tropfenform entwickelt.

Vorteile der Mulsine:

schnelle Vorbeugung oder Beseitigung von Mangelzuständen (Vitamin[ ]D3[ ]Mangel bei 80 % der Bevölkerung im Winter beschrieben)

Direkt-Bestellkonditionen sowie kostenfreies Infomaterial für Ihre Praxis erhalten Sie unter …“

Das in Rede stehende Schreiben enthielt eine bebilderte Darstellung des Nahrungsergänzungsmittels Innova Mulsin® Vitamin D3 mit Angaben über seine Zusammensetzung, seinen Verkaufspreis und die Tagestherapiekosten nach der Dosierungsempfehlung von einem Tropfen täglich.

Zwar ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006, dass die Verwendung nährwert- oder gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig ist, wenn der durchschnittliche Verbraucher die positiven Wirkungen, die in der Angabe dargestellt werden, versteht.

Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass jede objektive Information über neue wissenschaftliche Entwicklungen, die Lebensmittelunternehmer unter Verwendung technischer oder wissenschaftlicher Terminologie – wie hier des Begriffs „atopische Dermatitis“ – an medizinische Fachkreise richten, verboten wäre.

Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 ist nämlich dahin zu verstehen, dass diese Bestimmung im Interesse einer sachkundigen Entscheidung des Endverbrauchers zur Anwendung gelangt, wenn die nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben unmittelbar dem Endverbraucher mitgeteilt werden. In einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits jedoch wird das solche Angaben enthaltende Schreiben, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nicht als solches dem Endverbraucher vorgelegt, sondern den medizinischen Fachkreisen übermittelt, die stillschweigend dazu aufgefordert werden, das betroffene Lebensmittel dem Endverbraucher zu empfehlen.

Darüber hinaus sieht der vierte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006 vor, dass die Verordnung auf Angaben in nicht kommerziellen Mitteilungen wie z. B. in den Ernährungsrichtlinien oder Empfehlungen staatlicher Gesundheitsbehörden und stellen oder in nicht kommerziellen Mitteilungen und Informationen in der Presse und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen keine Anwendung finden sollte.

Daher steht die Verordnung der objektiven Information medizinischer Fachkreise über neue wissenschaftliche Entwicklungen, die sich technischer oder wissenschaftlicher Terminologie bedient, nicht entgegen, wenn die Mitteilung nicht kommerzieller Art ist.

Vor diesem Hintergrund ist der Begriff „kommerzielle Mitteilung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung dahin zu verstehen, dass er u. a. Mitteilungen in Form einer Lebensmittelwerbung erfasst, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes dieser Lebensmittel dienen.

Eine solche Mitteilung kann jedoch auch die Form eines nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Verordnung enthaltenden Werbeschreibens annehmen, das Lebensmittelunternehmer an medizinische Fachkreise richten, damit diese ihren Patienten gegebenenfalls den Kauf und/oder den Verbrauch dieses Lebensmittels empfehlen.

Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1047/2012 der Kommission vom 8. November 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, auch wenn sich diese Mitteilungen nicht an den Endverbraucher, sondern ausschließlich an medizinische Fachkreise richten. (EuGH vom 14.7.2016, C-19/15, Verband sozialer Wettbewerb e.V. gegen Innova Vital GmbH)

Im vorliegenden Fall hängt die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers davon ab, ob die inkriminierte Angabe auf den Lebensmittelprodukten Art. 12 lit. c der EU-Claims-Verordnung widerspricht. Nach dieser Verordnungsbestimmung in der deutschen Sprachfassung vor der Berichtigung Amtsblatt L 160 vom 12. Juni 2013, Seite 15 (siehe dazu gleich unten), handelt es sich bei Angaben, die auf Empfehlungen von einzelnen Ärzten oder Vertretern medizinischer Berufe oder von Vereinigungen die nicht in Art. 11 genannt werden, verweisen, um unzulässige gesundheitsbezogene Angaben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis zur Zl. 2012/10/0105 ausgesprochen, dass es sich bei dem Hinweis auf den Wert von Lebensmitteln der auch hier gegenständlichen Produktschiene für eine ausgewogene Ernährung eindeutig um eine Empfehlung im Sinn der zitierten Verordnungsbestimmung handelt. Er kam unter Heranziehung von teleologischen und systematischen Argumenten sowie der englischen und französischen Sprachfassung der EU-Claims-Verordnung zum Ergebnis, dass es sich bei einer Diätologin um eine Vertreterin eines medizinischen Berufs im Sinn von Art. 12 lit. c dieser Verordnung handle und die inkriminierte Angabe auf einem Lebensmittelprodukt daher dieser Bestimmung in der Fassung vor der oben erwähnten Berichtigung der deutschen Sprachfassung widerspreche. Durch diese Berichtigung wurde die Wortfolge "Vertretern medizinischer Berufe" durch "Angehörigen von Gesundheitsberufen" ersetzt. Somit wurde nunmehr seitens des Verordnungsgebers klargestellt, dass von Art. 12 lit. c auch Empfehlungen von Diätologen, die zweifellos zu den "Gesundheitsberufen" zu zählen sind, umfasst sind. (VwGH vom 12.08.2014, 2013/10/0203)

„Nervosität" oder „Stress" sind zumindest im Zusammenhang mit dem Nikotinentzug als „krankhafte Beschwerden" im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 AMG anzusehen (zu diesem Begriff VwGH 97/10/0210: von der „Normbeschaffenheit abweichende Zustände" wie etwa Schlafstörungen). Ebenfalls krankheitsbezogen sind Angaben (teilweise auch der „aktuellen" Werbelinie), die auf eine unterstützende Wirkung - und zwar mangels deutlicher Unterscheidung auch des Granulats, nicht bloß der Attrappe als solcher - bei der „Raucherentwöhnung" hinweisen. Diese Aussagen beziehen sich eindeutig auf die Behandlung einer Krankheit (Nikotinabhängigkeit). (OGH vom 08.04.2008, 4Ob27/08m)

Ein verständiger Verbraucher wird aus der beanstandeten Werbung ableiten, dass das Produkt Krankheiten vorbeugt. Denn schon aus dem Aufbau der Anzeige ergibt sich, dass der Übersäuerung entgegengewirkt werden soll, um auch weitere Krankheiten (u.a. Arteriosklerose, Diabetes, Migräne) zu verhindern. Damit ist die Bekämpfung der „Übersäuerung" bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kein Wert an sich, sondern in erster Linie Mittel zum Zweck. Es besteht daher kein Zweifel, dass die Anzeige zumindest den Eindruck einer krankheitsvorbeugenden Wirkung hervorruft. Aber auch die Übersäuerung selbst wird ein verständiger Verbraucher im Gesamtzusammenhang als Krankheit verstehen, die mit dem Produkt behandelt werden kann. Denn wenn „akute Übersäuerung" ein „lebensgefährlicher Zustand" ist, muss jeder unbefangene Leser auch die bloße „Übersäuerung" für eine Krankheit halten, d.h. für eine zeitlich und intensitätsmäßig variable Störung der Normbeschaffenheit des Körpers (Barfuß/Smolka/Onder aaO 17; vgl. auch die EB zum AMG, 1060 BlgNR 15. GP). Diese Auffassung deckt sich mit der Rsp des VwGH zu § 9 LMG idF der LMG-Novelle 2003. Danach liegt eine verbotene Angabe schon dann vor, wenn auf einen Zustand Bezug genommen wird, bei dem „menschliche Organe oder Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren" (GZ 2002/10/0224 = JUS A/4189 - Verdauungsdragees). Das ist bei einer „Übersäuerung" offenkundig der Fall. (OGH vom 19.12.2006, 4Ob171/06k)

Die nährwertbezogene Angabe „ohne Fettzusatz“ ist zwar im Anhang zur VO 1924/2006 nicht angeführt und daher wegen des Verbotsprinzips unzulässig. Bei der beanstandeten Angabe „Erdnüsse, ohne Fett (im Ofen) geröstet“ handelt es sich jedoch nicht um eine solche, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung wie die Angabe „ohne Fettzusatz“ hat. Diese Angabe ist zusammen mit dem Hinweis „pikant gewürzt“ eine nützliche und wahrheitsgemäße Information für den Verbraucher über die Beschaffenheit des Produkts und steht im Zusammenhang mit der Herstellung von verschiedenen Produkten wie „Erdnüsse, ölgeröstet mit/ohne Salz“ und „Erdnüsse, trocken geröstet, pikant gewürzt“. Dem Verbraucher soll durch die Information über die Beschaffenheit des Lebensmittels die Wahl zwischen geschmacklich verschiedenen Erdnussprodukten ermöglicht werden.

Während die nährwertbezogene Angabe „ohne Fettzusatz“ auf die besondere Eigenschaft eines Produkts durch einen reduzierten Fettgehalt abstellt, umschreibt der Hinweis „ohne Fett geröstet“ nur die Art der Röstung und intendiert keine Aussage über Nährstoffe des Produkts. Es kann daher nicht von einer gleichbedeutenden bzw. synonymen Angabe zur Deklaration eines Produkts mit der Angabe „ohne Fettzusatz“ ausgegangen werden. Auch wenn, wie die AGES im Gutachten ausgeführt hat, in Fett geröstete Erdnüsse allein durch diese Art der Röstung 50 % statt 46 % Fett aufweisen und damit einen leicht erhöhten Fettanteil enthalten, wird dieser Umstand nicht schon durch die Angabe „ohne Fett geröstet“ zum Ausdruck gebracht. Für den durchschnittlichen Verbraucher der Erdnussprodukte ist in erster Linie der Geschmacksunterschied und nicht der nur geringfügige Unterschied im Fettgehalt wesentlich.

Dem europäischen Gesetzgeber ist vor allem wichtig, dass Angaben über Lebensmittel vom Verbraucher verstanden werden können und alle Verbraucher vor irreführenden Angaben geschützt werden (vgl Erwägungsgrund 16). Die an dieser Zielsetzung der EG-ClaimsVO orientierte teleologische Auslegung erfordert kein Verständnis des Hinweises „ohne Fett geröstet“ als nährwertbezogenen Angabe, nur weil darin formal die Worte „ohne Fett“ vorkommen. Für den aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher besteht nämlich keinerlei Täuschungsgefahr. Die Annahme einer unzulässigen nährwertbezogenen Angabe im gegebenen Fall eines korrekten Hinweises zur Herstellungsweise ohne denkbare Irreführungsmöglichkeit läuft nach hg Ansicht dem von der EG-ClaimsVO verfolgten Schutzzweck eines hohen Verbraucherschutzniveaus zuwider und verkehrt ihn geradezu ins Gegenteil, weil damit sinnvolle und unbedenkliche Informationen des Verbrauchers verhindert werden. (LvWG OÖ vom 23.06.2015, LVwG-000076/2/WEI)

Die Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25. März 1999 über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke enthält in Art. 1 Abs. 2 lit. b die wörtlich in § 1 Abs. 2 Z. 2 der Verordnung LebensmittelV diätetische medizinische Zwecke 2000 übernommene Definition von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke. Demnach dienen diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zunächst jedenfalls der Ernährung. Sie dienen jedoch auch der diätetischen "Behandlung" von "Patienten". Die Zweckwidmung muss sich somit auf kranke Personen beziehen (vgl. auch den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 1992/21/EG "Personen ..., die an bestimmten Krankheiten, Störungen oder Beschwerden leiden oder auf Grund von ihnen unterernährt sind"). Ziel einer solchen Behandlung ist es somit, durch eine an die besonderen Erfordernisse des Patienten angepasste Ernährung Einfluss auf das Krankheitsgeschehen zu nehmen, wozu auch gehören kann, Folgeerkrankungen bzw. das Risiko, dass solche auftreten, zu beeinflussen. Die Zweckwidmung eines Produktes für die Hintanhaltung von Folgeerkrankungen von bereits kranken Personen steht somit der Einstufung als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinn der Verordnung nicht entgegen. (VwGH vom 28.10.2015, Ra 2014/10/0004)

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